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Steckenbleiben im Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt

Entscheidungssituation können innere Konflikte auslösen. Dabei stehen zwei oder mehr eigene Handlungstendenzen gegeneinander, die nicht vereinbar sind. Wir können nicht „alles haben“, und das löst emotionale Turbulenzen aus. Was eine rationale Entscheidungsfindung dann zusätzlich erschwert!

Besonders lähmend wirkt der Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt. Dabei stehen zwei Alternativen zur Auswahl, die beide negativ sind. Es ist leicht verständlich, dass wir da nicht freudig voranschreiten.

Auswahl zwischen zwei negativen Alternativen

Ein Alltagsbeispiel: Jemand hat Zahnschmerzen, aber auch Angst vor der Zahnbehandlung. Die Schmerzen auszuhalten ist unangenehm, der Weg zum Zahnarzt auch. Und was macht der Mensch dann? Nichts. Wir befinden uns in einem Patt.

Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikte kommen im beruflichen Kontext häufig vor, wenn Unternehmen sich verändern und damit ein für die Mitarbeitenden gutes Gleichgewicht zerstört wird. Zum Beispiel:

  • Standortwechsel des Betriebs: Haus verkaufen und umziehen? Oder kündigen und neuer Job?
  • Zentralisierung der Fachabteilung: In einer anderen Abteilung neu anfangen? Oder jeden Tag drei Stunden Fahrtzeit zum neuen Sitz des gewohnten Fachgebiets?
  • Digitalisierung und Wegfall der bisherigen Tätigkeit: Sich mit Restaufgaben zufriedengeben? Oder nochmal umschulen?
  • Reorganisation mit Zusammenfassung von Abteilungen: Als bisherige Führungskraft wieder zurück auf die Mitarbeiterebene? Oder sich dem Konkurrenzkampf um die neue Führungsposition stellen, den man auch – mit Gesichtsverlust - verlieren kann?
Verkehrsschild - no Exit, in allen Richtungen
© Gerd Altmann, Pixabay-Lizenz 2022

Herr Lettmann war fast zehn Jahre als Teamleiter in einer Fachabteilung der Regionaldirektion Dortmund tätig. Er hatte einen guten Draht sowohl zu seiner Chefin als auch zu seinem Team, worauf er stolz war. Hier hatte er in der Anfangszeit viel Energie reingesteckt, seine Mitarbeitenden kennenzulernen und – soweit es ging – zu ihrer Arbeitszufriedenheit beizutragen. Nun konnte er die Früchte genießen: In der Mitarbeiterbefragung bekam er positives Feedback und auch seine Zielerreichung war bundesweit im oberen Viertel. Vor sechs Jahren hatte er sich mit seiner Frau ein Häuschen in einem ländlichen Vorort von Witten gekauft. Dort fühlten sich die beiden Kinder der Familie (7 und 4 Jahre) sehr wohl. Seine Frau hatte in Witten eine qualifizierte Teilzeitstelle als Rechtsanwältin bekommen.

Wie eine düstere Wolke am Horizont waren letztes Jahr Umstrukturierungspläne der Firma aufgetaucht. Zum Jahresanfang wurde nun beschlossen, die Fachabteilung von Herrn Lettmann zum 1.6. in der Hauptverwaltung in München zu zentralisieren. Da Personal eingespart werden sollte, würden zwei der bisher 8 Teamleitungsstellen wegfallen, aber auf die restlichen 6 konnten und sollten die bisherigen Teamleitungen sich intern bewerben.

Herr Lettmann hatte die Situation gleich mit seiner Chefin besprochen. Er wollte auf keinen Fall nach München umziehen. Ein Haus würde er sich da nicht leisten können. Seine Vorgesetzte beruhigte ihn. In solchen Fällen würden die Betroffenen oft ein Apartment vor Ort mieten und wochenweise pendeln. Das war für Herrn Lettmann kaum denkbar. Er wollte den Kontakt zu seinen Kindern nicht ausdünnen.

Weitere Erkundigungen beim Regionaldirektor nach Alternativen in Dortmund verliefen ohne Ergebnisse. Offene Teamleitungsstellen gab es derzeit nicht. Als Mitarbeiter werde man Herrn Lettmann schon irgendwie weiterbeschäftigen können, allerdings in einem anderen Fachgebiet und mit Gehaltseinbußen.


Ein typischer Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt: Die eine Alternative ist schlecht, die andere erst recht. Obwohl Herr Lettmann alles richtiggemacht hatte! Gefühle von Hoffnungslosigkeit können sich breitmachen, Gedanken wie „Das kann doch nicht wahr sein!“

Der Blick von außen

Jeder neutrale Beobachter sieht auch, dass die Dinge für Herrn Lettmann nicht gut gelaufen sind. Doch ohne emotionale Beteiligung fällt es leichter, die Realität anzuerkennen und die notwendigen Entscheidungen zu fällen.

Die Führungskraft hatte Herrn Lettmann angeboten, sowohl eine Empfehlung für ihn auszusprechen, wenn er sich in München bewerben wollte, als auch seine Suche nach Alternativen hier in Dortmund zu unterstützen. Sie machte sich inzwischen Sorgen, weil Herr Lettmann weder in die eine noch in die andere Richtung Initiativen ergriff.

Die Teammitglieder waren auch nicht mehr gut auf Herrn Lettmann zu sprechen. Er hatte die Entscheidung per Mail weitergeleitet, was sonst gar nicht seine Art war. Weitere Infos hätte er nicht, so behauptete er jedenfalls. Da die Mitarbeitenden ebenfalls vor einer Umzugs-Entscheidung standen, glühten private Drähte nach München und zum Betriebsrat. Sie fühlten sich alleine gelassen.

In seiner Familie hatte Herr Lettmann zunächst große Unterstützung. Seine Frau sprach sich zwar gegen einen Umzug aus, konnte sich aber sowohl mit der Wochenpendelei als auch mit einer geringer vergüteten Stelle in Dortmund anfreunden. Sie bot an, ihre Stundenzahl zu erhöhen, wenn das Familienbudget zu knapp werden würde. Die Großeltern hatten Hilfe bei der Kinderbetreuung angeboten, wenn Herr Lettmann unter der Woche nicht mehr da wäre. Doch dieser wurde immer gereizter und wich Gesprächen aus. Frau Lettmann bekam eine hilflose Wut: Was würde passieren, wenn er gar nichts machte? Würde er am Ende arbeitslos?

Das „Tal der Tränen“

Wenn wir in eine gravierende Krise kommen, müssen wir – psychisch – ein Tal der Tränen durchqueren. Leider können wir nicht schnell in eine neue Realitätssicht hüpfen, wenn wir an der alten so hängen. Deshalb ist es bei Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikten das Normale, in eine Art Schockstarre zu verfallen und den Kopf in den Sand zu stecken. Wie kommt man da wieder raus?

Im Tal der Tränen durchlaufen wir verschiedene Phasen:

  1. Leugnung
  2. Wut und Aggressivität
  3. Deprimiertheit und Lähmung
  4. Öffnung für das Neue
  5. Anpassung an das Neue

Die erste Reaktion verleugnet die Krise, kann sie nicht glauben und hofft, dass der Kelch nochmal an einem vorbeigeht.

Wenn das nicht passiert, bäumt man sich mit (letzter) Energie auf und wehrt sich. Natürlich ist es gut, seine Interessen zu vertreten, doch in emotionaler Rage wird man sich eher eine Beleidigungsklage einholen als eine Verbesserung.

Früher oder später verlässt uns dann die Hoffnung und damit auch die Energie.

Bei ausschließlich schlechten Alternativen fehlt die Energie

In einem Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt schauen wir die eine Option genauer an – und schrecken vor den Nachteilen zurück. Also die andere Alternative – und auch da nichts Anziehendes. Es hat alles keinen Sinn. Aber Energie ist nötig, um die andere Seite des Tränentals zu erklimmen!

Im Coaching lasse ich dann nach Energiequellen suchen. Da sollte man ruhig etwas out-of-the-box denken, denn beispielsweise bringt Druck eine Menge Energie, obwohl er ein schlechtes Image hat.

Druck

Die Chefin könnte Herrn Lettmann einladen und ihm ein Ultimatum stellen: entweder er entscheidet sich innerhalb der nächsten Woche für eine Alternative, oder sie zieht ihre Unterstützungsangebote zurück. Das hört sich hart an – aber vermutlich wird Herr Lettmann ihr später dafür dankbar sein.

Schrittplan

Hier wird die große schwarze Wolke in kleine Schritte unterteilt, die weniger Kraft fressen. Zudem gibt es wieder Zuversicht, wenn man diese Schrittchen geht und merkt, dass man nicht nur ein Opfer, sondern auch ein Handelnder ist.

Frau Lettmann könnte eine Alternative nehmen und mit ihrem Mann kleine erste Schritte erarbeiten. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, mit dem möglichen Chef in München einmal persönlichen Kontakt aufnehmen. Sie könnte die Mieten für Apartments dort erkunden. Er könnte nach Regelungen zu Homeoffice-Tagen anfragen usw.

Den Entscheidungsraum vergrößern

Meist engt sich der Blick ein, wenn man ins Tal der Tränen abstürzt. Wie das Kaninchen vor der Schlange starrt man auf die negativen Alternativen und guckt nicht mehr rechts noch links.

So könnte ein guter Freund von Herrn Lettmann sagen: „Mensch Alter, wir sind in Dortmund. Glaubse, hier gibbet nix außer deine komische Firma?“ Dann würden beide herzlich lachen und noch in der Kneipe auf dem Handy Bewerbungsprofile für Herrn Lettmann anlegen. Wer weiß, ob er nicht eine gute Teamleitungsstelle vor Ort bekommen könnte?

Persönliche Werte

Krisen zwingen uns dazu, uns damit auseinanderzusetzen, was uns im Leben wirklich wichtig ist. So können sie tatsächlich persönliches Wachstum fördern und uns – von einem späteren Zeitpunkt aus betrachtet – sogar gutgetan haben.

Herr Lettmann könnte zur Klärung seines Vermeidungs-Vermeidungs-Konfliktes ein Coaching in Anspruch nehmen. Der Coach würde mit ihm erkunden, was seine handlungsleitenden Werte und Motive sind. Ist Leistung wichtiger oder Verantwortungsgefühl? Verbundenheit mit Familie und Freunden oder Status? Fachliche Sicherheit oder spannende Herausforderungen?

Es ist gar nicht so selten, wenn in einer solchen Klärung herauskommt, dass die bisherige Stelle nur einen Teil der Motive befriedigt hat. In dieser Situation lässt sich erkennen: Was schlummert noch in meinem Inneren? Was wollte ich „eigentlich“ immer schon mal ins Leben bringen? Das wird einen Energieschub geben.

Familie Lettmann war an einem verlängerten Wochenende ans Meer gefahren. Herr Lettmann machte einen langen Strandspaziergang, alleine mit seinen Gedanken. Da hatte es so einen klaren Augenblick gegeben im Coaching letzte Woche, so ein Gefühl von Stimmigkeit in seinem Innern. Er hatte sich erinnert, was er als Student gedacht hatte. Er wollte irgendetwas Sinnvolles, für die Gemeinschaft Nützliches machen. Seine Firma war ein florierendes Wirtschafts­unternehmen, das gut zahlte. Aber war das wirklich wichtig? Und wenn er zu einer öffentlichen Verwaltung oder einem Sozialverband wechseln würde? Was kam da überhaupt in Frage? Er blickte auf das offene Meer, genoss den Anblick der Weite, und dachte: Da kommt noch was für mich!


Vorwärtsgehen – mit Akzeptanz

Ein Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt bringt unangenehme Gefühle mit sich – und die hemmen eine vorwärts gerichtete Entscheidung. Ein ungutes Bauchgefühl lässt uns automatisch stoppen, doch in der Verharrung gibt es keine Problemlösung. Deshalb müssen wir einen Vermeidungs-Vermeidungs-Konflikt erkennen und durch die negativen Phasen hindurchgehen.

Die Begleitung durch einen Coach und die Kenntnis von Entscheidungstechniken sind dabei gute Hilfen!

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