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Wie hoch ist meine Motivationsstärke wirklich?

von Sabine Neugebauer

Manchmal sind wir enttäuscht, weil unsere Willenskraft wohl doch nicht so groß ist, wie wir dachten. Doch wenn man die Einflußfaktoren kennt, kann man das verstehen und voraussehen - und sogar beeinflussen! Die Erwartungs-Wert-Theorien sagen, wie das geht.


Fesselballons am Himmel
(c) Gerhard G. / blende12, Pixabay-Lizenz 2020

In allen Ballons mitfliegen - das geht leider nicht

Zeit ist eine begrenzte Ressource. Wir können - um mit dem Bild zu sprechen - nicht in allen Fesselballons gleichzeitig mitfliegen. Wenn wir uns etwas vornehmen, muss sich dieses Vorhaben gegen andere Alternativen durchsetzen. Vielleicht ist der Vorsatz gut - nur die Alternativen sind ein wenig stärker.

Wovon hängt die Stärke eines Vorsatzes ab?

Die Psychologie hat herausgefunden, dass es hauptsächlich von zwei Faktoren abhängt: der Erfolgserwartung und dem Wert des Ziel.

  • Die Erwartung beschreibt, für wie wahrscheinlich ich es halte, mein Vorhaben erfolgreich umzusetzen
  • Über den Wert kann ich vergleichen, wie wichtig mir das Vorhaben im Vergleich zu den Alternativen ist.

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Das Beispiel von Jennifer und dem Stressbewältigungskurs

Wie im letzten Blogbeitrag beschrieben, besuchtJennifer einen betrieblichen Stressmanagement-Kurs. Sie hat sich vorgenommen, Freiräume für Entspannung und Meditation in ihrem Alltag zu schaffen, doch das will einfach nicht gelingen.

Nun gilt es zu fragen: Was sind die Alternativen, die ja (noch) stärker sind? Und wie bewertet Jennifer die Alternativen im Vergleich zu Entspannung und Meditation?

Als Jennifer mal die letzten zwei Wochen durchgeht, kommt sie auf drei typische Verhaltensweisen, die die Entspannungsübung aus dem Tagesplan herauskicken:

  • familiäre Verpflichtungen erfüllen wie Kindergeburtstag und Haushalt
  • jemandem einen Gefallen tun, z. B. Kollegen oder Nachbarn
  • einfach müde abhängen, ob mit Freundin oder alleine auf dem Sofa.

Doch entspricht das ihren Werten? Empfindet sie diese drei Aktivitäten als wertvoller gegenüber ihren Stressbewältigungsvorsatz?

 

Wenn Sie den Wert auf einer Skala von 0 bis 10 Punkten einschätzen würde, dann sähe das Ergebnis so aus:

  • familiäre Verpflichtungen           = 7 Punkte
  • jemandem einen Gefallen tun  = 4 Punkte
  • einfach müde abhängen             = 2 Punkte
  • Entspannung / Meditation         = 5 Punkte

Hm. Wenn die Stressbewältigungsübungen doch den zweithöchsten Wert haben, weshalb lässt Jennifer sie dann ausfallen?


Nun kommt der zweite Faktor ins Spiel: die Erwartung. Wie sicher ist sich Jennifer, dass bei einer Aktivität auch das herauskommt, was sie will? Welchen "Erfolg" erwartet sie?

Eine solche Denkweise ist Jennifer erst einmal fremd. Doch sie gewöhnt sich schnell daran und nennt diese Einschätzungen:

  • familiäre Verpflichtungen:           Erfolg = Familie ist zufrieden - 90% wahrscheinlich
  • jemandem einen Gefallen tun:  Erfolg = der andere ist zufrieden - 100% wahrscheinlich
  • einfach müde abhängen:             Erfolg = Schonraum für mich - 100% wahrscheinlich
  • Entspannung / Meditation:         Erfolg = Übung funktioniert - 30% wahrscheinlich

Motivationssstärke = Wert mal Erfolgserwartung

Die wirksame Motivationsstärke ergibt sich aus diesen beiden Faktoren. Unser Wille ist automatisch stark, wenn wir einen Vorsatz verfolgen, der einem hohen persönlichen Wert entspricht, und wir daran glauben, dass wir es schaffen können.

Der Wille schwächelt allerdings, wenn wir das Vorhaben im Grunde als wertlos ansehen oder es sogar unseren inneren Werten widerspricht. Ebenso fehlt die Umsetzungskraft, wenn wir uns nicht sicher sind, ob wir erfolgreich sein werden.


Rechnen Sie bei Jennifers Fall mal mit:

  • familiäre Verpflichtungen:           Wert 7 Punkte x 90% = 630 Punkte
  • jemandem einen Gefallen tun:  Wert 4 Punkte x 100% = 400 Punkte
  • einfach müde abhängen:             Wert 2 Punkte x 100% = 200 Punkte
  • Entspannung / Meditation:         Wert 5 Punkte x 30% = 150 Punkte

Kein Wunder, dass Jennifer sich so verhalten hat. Doch wie kann sie die Stressbewältigungsübungen auf einen höheren Rangplatz befördern, damit sie auch tatsächlich mal stattfinden?


Erwartungen verändern

Erwartungen verändern sich über Erfahrungen. Habe ich etwas öfter gemacht, dann weiß ich, wie gut es mir gelingt. Und ich schaffe es auch immer besser durch die Übung.

Will man den Erwartungsfaktor erhöhen, so kann man einerseits den Zeithorizont vergrößern, sich also einen Übungszeitraum genehmigen:

  • Wie hoch schätze ich den Erfolg ein, wenn ich es erst einmal einen Monat ausprobiert habe?

Man kann auch seine Lernkurve bei anderen, ähnlichen Akivitäten heranziehen, um optimistischer zu werden:

  • Wenn ich erinnere, was ich an Vergleichbarem schon geschafft habe, wie weit kann ich dann meine Erfolgserwartung erhöhen?

Schließlich kann ich soziale Vergleiche und Unterstützung nutzen:

  • Wer hat Ähnliches schon geschafft und wie kann ich von ihm lernen?
  • Wer kann mir helfen und mich ermutigen, damit ich optimistischer bin?

Den Wert verändern

Unser Wertesystem ist wie ein Kompass, der tief in unserer Persönlichkeit verankert ist. Werte dauerhaft zu verändern ist deshalb schwierig. Aber zwei Ansatzpunkte gibt es doch.

  • Einen Wert im Alltag verankern

Die Wirksamkeit eines vorhandenen Wertes wird erhöht, indem man sich durch Ankerreize im Wohn- oder Arbeitsumfeld immer wieder daran erinnert. Ein typisches Beispiel ist die Post-it-Notiz auf dem Monitor.

  • Werte in Beziehung setzen

Ein Wert wird in seiner Bedeutung erhöht oder verringert, indem man ihn mit einem anderen Wert verknüpft.


Jennifer will ihre Erwartung erhöhen, dass Entspannung und Meditation bei ihr funktionieren. Da sie selbst über keine ähnlichen Erfahrungen verfügt, verabredet sie sich jetzt regelmäßig mit einer Kollegin, die auch in dem Kurs ist und sie beraten und ermutigen kann.

 

Aber auch den Faktor Wert will sie verändern. Wie kann es sein, dass es ihr wichtiger ist, anderen einen Gefallen zu tun, als sich selbst? Sie sucht ein Foto von sich heraus, auf dem sie sich echt gut leiden kann, und klebt es zusammen mit einem Zettel an ihren Schminkspiegel: "Ich bin für andere da - und für mich selbst!" Nachdem sie ein paar Tage darauf geschaut hat, ergänzt sie um einen weiteren Gedanken: "Gerade weil meine Familie mich braucht, muss ich den Stress abbauen."

An den richtigen Schrauben drehen, kann den Willen deutlich verstärken.


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